«Gärtnern ist ein ideales Mittel zur Entschleunigung»

Stefan Rebenich ist Historiker an der Universität Bern. Mit der Geschichte des Gartenbaus kennt sich der passionierte Gärtner wie kein Zweiter aus. Hier einige Zitate aus dem Interview unter anderem im Tages-Anzeiger und in der Berner Zeitung

Wann gehen gestalterische Eingriffe zu weit?

Die Gestaltung eines Gartens ist grundsätzlich zu begrüssen. Aber ein Problem entsteht dann, wenn man Pflanzen nicht mehr die Möglichkeit gibt zu wachsen. Hinzu kommt, dass die permanente Beschleunigung, die uns alle heute erfasst, auch Folgen für das Gärtnern hat. Es besteht die Tendenz, dass man alles daransetzt, dass der Garten von Anfang an fix und fertig ist. Viele geben ihrem Garten keine Zeit mehr, sich langsam zu entwickeln.

Mit der Fertigstellung des Hauses muss auch der Garten parat sein.

Ja, genau, hinzu kommt eine zweite Tendenz, die ich mit Missfallen beobachte. Das Haus erobert den Garten. Neuer Wohnraum wird durch die rücksichtslose Versiegelung der Flächen erkauft. Grosszügige Terrassen und Outdoorküchen sind inzwischen gestalterische Elemente, deren Substruktionen mit Beton für die Ewigkeit gebaut werden. Die Bepflanzung des Areals ist zweitrangig. Das ist eine Entwicklung, welche die ohnehin kleinen Gartenflächen bei den immer kleiner werdenden Parzellen mehr und mehr als Teil der häuslichen Nutzung missbraucht.

Lässt sich die Geduld, die es beim Gärtnern braucht, mit jener vergleichen, die es bei der Erziehung braucht?

Ja, sicher. Erfolg ist nicht rasch zu haben, weder in der Erziehung noch beim Gärtnern. In Platons Dialog «Phaidros» vergleicht Sokrates zwei Gärtner: Einer sät das Samenkorn in der südlichen Sommerhitze in einen Kasten und freut sich daran, dass es bereits nach acht Tagen prächtig aufgeht. Doch ruckzuck verdorrt diese zarte Pflanze wieder. Diesem Gärtner, der nur einen Scheinerfolg erzielt, stellt Sokrates einen erfahrenen Landmann gegenüber, der sich Zeit lässt und den Samen erst dann ausbringt, wenn die Bedingungen und Voraussetzungen gut sind. Er wird viel später ernten, sich aber über den nachhaltigen Erfolg freuen können. So lässt sich die Tätigkeit des Gärtners mit jener des Lehrers vergleichen: Erfolg ist nicht rasch zu haben, weder in der Erziehung noch beim Gärtnern. Hier wie dort ist geduldige, auf Nachhaltigkeit setzende Arbeit gefordert.

Ihr Buch «Der kultivierte Gärtner» plädiert für die "Gartenbildung".

Das ist richtig. Man braucht natürlich Kenntnisse aller Art. Dagegen wende ich mich nicht. Ich wende mich dagegen, dass dieses Wissen stur angewendet wird und man sich von lieben Gewohnheiten nicht mehr befreien kann. Wer gärtnert, sollte Lust am Ausprobieren haben und im ständigen Dialog stehen mit Familienmitgliedern, Nachbarn und Freunden. Das ist im Übrigen die beste Garantie dafür, dass man sich nicht in seinen Garten zurückzieht, sondern sich stets offen für Neues zeigt – was gerade in einer Zeit des sich rapide verändernden Klimas wichtig ist.

Ist das Bepflanzen des eigenen Balkons nur halbes Gärtnern?

Das würde ich so nicht sagen. Auch wenn man in einem Garten mehr experimentieren kann, vermag man auf einer Terrasse oder einem Balkon selbstredend auch zu gärtnern. Es ist die aktive Gestaltung eines kleinen, überschaubaren Raumes. Die Herausforderung besteht vor allem darin, dass keine Verbindung zum Boden besteht, sondern man nur in Kisten und Kästen etwas ziehen kann. Auch hier zählt das Experimentieren: Man muss flexibel sein und schauen, was man pflanzen kann. Es ist doch traurig, wenn man an Hausfassaden hochguckt und alles grau in grau ist. Allein schon aus diesem Grunde sollte man jede Chance zur Begrünung der Balkone nutzen. Auch Schrebergärten, Gemeinschaftsgärten und Urban Gardening begrüsse ich; nur sollte es nicht in ein ideologisches Korsett gezwungen werden.

Finden Sie immer Zeit, Ihren Garten zu pflegen?

Ich nehme sie mir! Wenn ich in meinem 600 Quadratmeter grossen Garten im Berner Oberland arbeite, schalte ich ganz ab und denke nicht daran, noch diese oder jene E-Mail zu beantworten. Gärtnern ist für mich immer auch Reflexion über das eigene Tun und ein ideales Mittel der körperlichen und geistigen Entschleunigung. Es hat nicht nur eine beruhigende, sondern auch eine befreiende Funktion.

Stefan Rebenich: Der kultivierte Gärtner, Klett-Cotta, Stuttgart 2022. 208 S., ca. 38 Fr.

Stefan Rebenich: Der 61-Jährige lehrt und forscht seit 2005 als Professor für Alte Geschichte an der Universität Bern.

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